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Komplexitätsmanagement oder Varianten einfach steuern 

Copyright Dr. Wüpping Consulting GmbH


Komplexitätsmanagement - Warum einfach? Es geht auch kompliziert!

Komplexitätsmanagement und Variantenmanagement sind für fast jedes Unternehmen mit variantenreichen technischen Produkten erforderlich. Individuelle Produkte entsprechend der Kundenwünsche und die damit verbundene Zunahme der Variantenvielfalt bleiben ein anhaltender Trend. Die zunehmende Produktdifferenzierung führt dazu, dass Märkte und Kunden immer anspruchsvoller werden. Hinzu kommen Innovationen und Technologiewandel, die die interne Vielfalt in die Höhe treiben und die Komplexitätskosten erheblich erhöhen. Die Hürde besteht darin, Kundenanforderungen zu erfüllen, ohne die interne Komplexität und damit Kosten zu steigern, um schlank, flexibel und vor allem wertorientiert zu handeln. Das bedeutet, dass Unternehmen in die Lage versetzt werden müssen, Komplexität strategisch zu managen. Rein situative Entscheidungen im operativen Tagesgeschäft führen bei hoher Unschärfe und fehlendem Komplexitätsmanagement zu Kostensteigerungen und Wildwuchs.

Wir setzen uns in diesem Artikel mit dem Mehrwert von Varianten und den daraus entstehenden Komplexitätsaufwendungen auseinander.

Komplexitätsmanagement oder der kontrollierte Umgang mit Varianten und Komplexität

Josef Wüpping

Grundlagen zu den Begriffen Komplexitätsmanagement, Differenzierung und Wertdisziplin:

Komplexität (v. lat.: complectari = umarmen, umfassen) bezeichnet allgemein die Eigenschaft eines Systems, dass sein Gesamtverhalten nicht beschrieben werden kann, selbst wenn man vollständige Informationen über seine Einzelkomponenten und ihre Wechselwirkungen besitzt. Die Komplexität eines Systems steigt mit der Anzahl an Elementen, der Anzahl an Verknüpfungen zwischen diesen Elementen sowie der Funktionalität dieser Verknüpfungen.

Laut Klaus Mainzer (Professor für Wissenschaftstheorie in München) befasst sich die Komplexitätsforschung mit der Annahme, dass aus Chaos durch Selbstorganisation wieder eine neue Form von Ordnung entsteht.

Kompliziert und komplex unterscheiden

Andrew Smart hat einen Beitrag veröffentlicht, in dem er den Unterschied zwischen einer komplizierten und einer komplexen Aufgabe anschaulich erklärt. Dabei bezieht er sich auf das Buch “Denkwerkzeuge der Höchstleister: Wie dynamikrobuste Unternehmen Marktdruck erzeugen”. Deren Aussage sei, so Smart: “Mit Wissen kann man komplizierte Aufgaben lösen, aber nur mit Können kann man komplexe Aufgaben lösen.” Als anschauliches Beispiel hält der Fußball her: “Die Logistik einer Fußballmannschaft ist kompliziert, aber mit genügend Wissen über die Zusammenhänge lösbar. Die Durchführung des Spiels selbst ist komplex (weil hochdynamisch) und mit theoretischem Wissen über das Fußballspiel eben nicht lösbar. Dafür muss man es können.” Verkürzt könnte man auch sagen, die Theorie erklärt es, die Praxis tut es.

Ein Klassiker der Managementliteratur - The Discipline of Market Leaders - beschreibt drei Wege zur Marktführerschaft mit „Produktführerschaft“, „operativer Stärke“ oder „Kundennähe“. Treacy und Wiersema beschreiben dabei drei Wertdisziplinen. Jede Firma muss eine von diesen Wertdisziplinen auswählen und in den anderen zwei Mindeststandards erfüllen.

Produktführerschaft, operative Stärke und Kundennähe müssen in Einklag gebracht werden

Auf Technologieunternehmen übertragen lassen sich diese etwa wie folgt beschreiben:

  • Produktführerschaft: Sehr stark in Innovation und Marketing der Marke. Firma operiert in dynamischen Märkten. Der Fokus liegt auf Entwicklung, Innovation, Design, Produkteinführungszeit, hohen Gewinnmargen in einem kurzen Zeitrahmen.
  • Operative Stärke: Operative Exzellenz durch das zur Verfügung stellen einer angemessenen Qualität zu einem niedrigen Preis. Der Fokus liegt auf Effizienz, rationalisierten Tätigkeiten, Supply Chain Management. Skaleneffekte sind wichtig, Sonderlösungen und „Firlefanz“ sind störend und sollen vermieden werden. Starkes Komplexitätsmanagement und begrenzte Variation im Produktsortiment.
  • Kundennähe: Das Unternehmen stellt seine Produkte/Dienstleistungen als kundenindividuelle Lösung für individuelle Kunden/Segmente her. Große Variationen im Produktsortiment durch Konfiguration bis hin zu Kundensonderlösungen. Liefern, was der Kunde will, Zuverlässigkeit, Qualität, Kundennähe.

Das Wertdisziplinen-Modell ist den Strategien von Porter ziemlich ähnlich (Kostenführerschaft, Differenzierung, Fokus). Jedoch gibt es einen Unterschied, denn entsprechend dem Wertdisziplinen-Modell kann keine Disziplin vernachlässigt werden. Schwellenniveaus in den 2 Disziplinen, die nicht gewählt werden, müssen beibehalten werden. Laut Porter laufen Firmen, die nach diesem Modell agieren, Gefahr, dass sie „in der Mitte feststecken“ werden.

Strategien lassen sich heute kombinieren: Nicht "kundenspezifisch oder kostenoptimiert", sondern sowohl als auch

Wir sind der Meinung, dass die Modelle auch innerhalb eines Unternehmens sehr gut nebeneinander funktionieren und auf Produktsegmente kombiniert angewendet werden können. Voraussetzung hierfür ist, dass ein Unternehmen sich konsequent durch Fokussierung und Segmentierung darauf ausrichtet. Komplexitätsmanagement und Variantenmanagement setzen hier an. Allerdings ist es dabei erforderlich, die entstehende Komplexität konsequent und durchgängig entlang der Unternehmensprozesse Kundenprozess, Entwicklungsprozess und Wertschöpfungsprozess zu managen.

Wir wissen heute, dass Unternehmen in der Lage sind, durch intelligente, durchgängige und automatisierte Konfigurationstechniken (Produkt und Prozess) innovative, kundenspezifische Lösungen zu Preisen eines Standardproduktes anbieten zu können und dabei enorme Zuwachsraten generieren. Innovation, Kostenführung, schnelle Lieferzeiten und Premiumpreise bei Kundennähe sind dabei kein Widerspruch mehr. Diese Unternehmen zeigen i.d.R. auch Benchmarks im Komplexitätsmanagement auf (vgl. Abbildung 1) und sind Wettbewerbern oft um Jahre voraus, denn die Implementierung und Wirksamkeit greift besonders stark in Prozessen und Wertschöpfung bei der Einführung gut strukturierter neuer Hauptumsatzträger.

Komplexitätsmanagement Benchmark

Komplexitätsmanagement Benchmark

Abbildung 1 Bestandsaufnahme Radar Komplexitätsmanagement

Weitere Beispiele sind die erfolgreichen Transformationen von Maschinenbauern zu Anlagenanbietern oder von Katalog- und Komponentenherstellern zu Systemlieferanten.

Diese Unternehmen haben es längst gelernt, die zunehmende Komplexität zu nutzen und den Kunden dadurch gezielt einen Mehrwert zu bieten. Sie bilden die wachsende Komplexität im Unternehmen erfolgreich ab, oder sie nutzen einfach ein intuitives und erfahrungswissenbasiertes Vorgehen, um Komplexität in „gute“ und „schlechte“ Komplexität zu unterscheiden, also in „Wert stiftende“ und „Wert vernichtende“.

Vielfalt ist als Differenzierungsmerkmal oftmals gewollt

Komplexität wird bei vielen Unternehmen bei weitem nicht mehr negativ gesehen, sondern z. T. sogar gezielt eingesetzt. Dabei werden komplexe Geschäftsmodelle (Produkt-Prozess-Systeme) entwickelt, die Wettbewerbsvorteile von bis zu einigen Jahren ermöglichen. Derartige Geschäftsmodelle sind nicht leicht zu kopieren und schützen zudem einige Jahre vor Piraterie.

Doch letztlich bleibt die Frage im Komplexitätsmanagement und Variantenmanagement, welcher Mehraufwand steht welchem Mehrnutzen gegenüber, wie weit kann bei Unsicherheit vorgedacht werden, und wo lohnen sich die Anstrengungen zur Umsetzung solcher variantenfähiger Geschäftsmodelle? Wann treibt Differenzierung und Produktwertsteigerung Kosten und Komplexität so sehr in die Höhe, dass diese weder dem Unternehmen noch dem Markt zuträglich sind?

Komplexität zu vermeiden, zu reduzieren und zu beherrschen, steht ganz oben in der Prioritätenliste

Seit etwa 20 Jahren wird hier intensiv geforscht. Doch die Ergebnisse an Hochschulen sind alles andere als zufriedenstellend. Dissertationen und Veröffentlichungen beschreiben die Zusammenhänge ähnlich wie vor 10 oder 20 Jahren nur mit teilweise neuen Fachbegriffen - also alter Wein in neuen Schläuchen? Nicht ganz, denn das Thema Komplexitätsmanagement wird mehr und mehr zur Top-Management-Aufgabe und von verschiedenen Industrieunternehmen erfolgreich angegangen.

Da gibt es heute z.B. den Komplexitätsmanager, den Leiter Standardisierung, die Variantenbewertungskommission, den Variantenmanager, das Produktmanagement, die Produktprogrammplanung, die Standardisierungsabteilung, den Bereich Master Design etc. und alles direkt unterhalb der ersten Führungsebene.

Wie sollte sich ein Unternehmen z.B. im Maschinenbau entwickeln, um sich dem Thema Differenzierung und Komplexität pragmatisch zu stellen? Es gibt keine methodisch identischen Ansätze, dennoch lassen sich erhebliche Gemeinsamkeiten erfolgreich agierender Unternehmen erkennen. Im Folgenden umreißen wir, mit welchen gemeinsamen Methoden führende Unternehmen dieser Herausforderung begegnen, und wo die wichtigsten 5 Handlungsfelder im Komplexitätsmanagement sind:

  1. Strategische Verankerung auf Top-Ebene
  2. Ausreichende Transparenz
  3. Verbindliche Produkt-Markt-Strategien
  4. Leistungsstarke konfigurierbare Produktsysteme
  5. Konsequente Wertschöpfungssicht durch Produkt-Prozess-Engineering

1. Strategische Verankerung von Variantenmanagement und Komplexitätsmanagement auf Top-Ebene

Betrachten Sie Differenzierung und Komplexität auf Top-Ebene aus Sicht der Markterfordernisse und der Wertschöpfung. Verknüpfen Sie die Produktsicht mit der Prozess- und Wertschöpfungssicht. Wo wirkt Vielfalt zum Markt Nutzen stiftend, und wo treiben Produktvarianten die innerbetriebliche Komplexität in Prozessen überproportional? Lohnen sich alle länderspezifischen Varianten für ein Randprodukt? Welche Steuerungssysteme bieten wir neben z.B. Siemens und Rockwell noch an? Welche Alleinstellungsmerkmale können wir durch zusätzliche Varianten generieren? Wo dagegen ist Komplexität ein Kostentreiber und stört ggf. den Ablauf in bestehenden (standardisierten) Prozessen?

Strategisch gesehen wird versucht, eine gesunde Balance zwischen hoher Marktvarianz (Scope) und innerbetrieblichen Skaleneffekten (Scale) zu erreichen. Deshalb wird z.B. die Stelle eines Komplexitätsmanagers geschaffen. Die Idee dahinter ist, ein Regulativ zur durch Wildwuchs überbordenden Komplexität zu schaffen und einen Filter zu kreieren, der funktionsbereichsneutral in Entscheidungsprozessen die Konsequenzen von zusätzlichen Varianten in allen Unternehmensbereichen (vgl. Abbildung 2) aufzeigt.

Komplexitätskosten

Komplexitätskosten

Abbildung 2: Aufwand durch die Produkt- und Teilevielfalt

Das Komplexitätsmanagement ist dabei ganzheitlich und strategisch ausgerichtet und bezweckt nicht die einseitige Komplexitätsreduzierung, denn es soll die Maximierung des Kundennutzens zu betriebswirtschaftlichen Vorteilen aufgezeigt werden und Entscheidungsprozesse plausibel und belastbar werden. Komplexität, die der Markt nicht benötigt und die allein hausgemacht ist, soll konsequent aufgezeigt und vermieden bzw. reduziert werden.

2. Ausreichende Transparenz im Variantenmanagement schaffen

Eine wichtige Voraussetzung für effektives Varianten- und Komplexitätsmanagement ist Transparenz von Nutzen und Aufwand und ein praktikables sowie verursachungsgerechtes Bewertungsverfahren der Komplexitätskosten. Hierfür reicht die klassische Deckungsbeitragsrechnung nicht mehr aus, da diese sehr stark die Umsatzsicht favorisiert und die variantenabhängigen Komplexitätstreiber in der Regel gar nicht erfasst. Die Mängel der traditionellen Kostenrechnung liegen daher in

  • viel zu groben Zuschlagssätzen und der
  • Verrechnung der fixen Gemeinkosten pauschal über alle Produkte auf Einzelkostenbasis
  • fehlendem strategischen Bezug für langfristige Entscheidungen
  • fehlenden Aussagegenauigkeiten in der frühen Entwicklungsphase
  • fehlender Szenarienbildung.
Variantenmanagement und Variantenkosten

Variantenmanagement und Variantenkosten

Abbildung 3: Eine vollständige Bewertung der Variantenkosten mit allen Einflussgrößen funktioniert nicht. Ein pragmatischer Ansatz zur Bewertung der Komplexitätskosten ist gefordert.

Die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Kostenrechnungssysteme ergibt sich vor allem durch ein seit Jahren starkes Anwachsen der Gemeinkostenanteile an den Gesamtkosten. Dieses Phänomen beobachten wir in vielen Unternehmen. Es wird hervorgerufen durch die zunehmende Varianz der Produktprogramme und der damit einhergehenden und steigenden Teilevielfalt.

Pragmatisch die Komplexitätskosten verursachungsgerecht umlegen

Aus strategischen Überlegungen sollen alle Kosten möglichst verursachungsgerecht auf die Produkte verteilt und über die erzielten Preise gedeckt werden (vgl. Abbildung 4 und Abbildung 5). Zur Variantenbewertung bzw. Analyse der Komplexitätskosten eignet sich z.B. die vereinfachte Form der Prozesskostenrechnung. Diese ist eine Variation der Bezugsgrößenkalkulation, bei der den Gemeinkosten verschiedene Prozesse zugeordnet werden. Hier erfolgt zu großen Teilen die Verrechnung fixer Gemeinkosten, weshalb man aufgrund der Verrechnung fixer Kostenbestandteile die Prozesskostenrechnung auch als modernes Vollkostenrechnungssystem bezeichnet.

Allerdings zeigen zu detaillierte Prozesskostenmodelle in der Praxis nicht immer die gewünschte Wirkung. Zu aufwändig und zu theoretisch sind diese Modelle in vielen Unternehmen eingeführt worden. Hier ist weniger oft mehr, wenn eine breite Akzeptanz erzielt werden soll (vgl. Abbildung 3).

Variantenkosten

Variantenkosten

Abbildung 4: Ansatz für die Variantenkostenbewertung: Gemeinkostenschlüsselung

Variantenkosten und Variantenbereinigung

Variantenkosten und Variantenbereinigung

Abbildung 5: In einer auf Prozesskosten basierenden Ergebnisbewertung wurden die kritischen Varianten in jedem Einzelfall bewertet

Voraussetzung für einen effektiven Umgang ist es, pragmatisch Erfahrungswissen und Unsicherheit in die bestehenden Modelle und Methoden zu integrieren. Schritte bei der pragmatischen Einführung der Prozesskostenrechnung bzw. der Bewertung der Komplexitätskosten zur Variantenentscheidung sind:

  • Identifizierung der variantenrelevanten Teilprozesse
  • Zuordnung von Gemeinkosten je Kostenstelle zu den Teilprozessen
  • Ermittlung und Klassifizierung der Teilprozesse in leistungsmengeninduzierte und -neutrale Prozesse
  • Ermittlung der Prozesskostensätze
  • Zusammenfassung der Kosten der Teilprozesse der Kostenstellen und Zuordnung zu den Hauptprozessen
  • Kosten der Hauptprozesse werden auf Produkte / Varianten verrechnet

Einfache Modelle zur Bewertung der Komplexitätskosten reichen bei Variantenentscheidungen oftmals aus.

Viel wichtiger als zu spät eingesetzte und allzu präzise Prozesskostenmodelle zur Bewertung bestehender Teilevielfalt sind jedoch Deltakostenmodelle in der frühen Entwicklung. Hier muss mit hoher Unschärfe zwischen Szenarien entschieden werden, ohne alle detaillierten Kostenbestandteile zu kennen (vgl. Abb 2). In diesem Zusammenhang sind die meisten Unternehmen nach wie vor sehr schwach ausgestattet, da sie in der Entwicklung zu spät, aber dann sehr präzise erkennen, dass die Zielkosten nicht erreicht werden und dadurch mehrere kosten- und zeitintensive Iterationsschleifen gefahren werden. Potenziale stehen dann meistens auf Power-Point-Folien und kommen in der Gewinn- und Verlustrechnung nicht an.

Frühere Aussagen mit Unschärfe zu akzeptieren (Entwicklungsbegleitende Kalkulation) ist weitaus besser, als späte und detaillierte Erkenntnisse mit vorliegenden Zeichnungen und Stücklisten und Arbeitsplänen über zu hohe Produktkosten. Die Anwendung solcher Systeme kostet allerdings Überwindung für jeden Entwicklungsingenieur.

3. Verbindliche Produkt-Markt-Strategien

Prüfen Sie, welche Produkte und Varianten tatsächlich zur Wertschöpfung bzw. zur Kundenbindung beitragen, und welche Kundensegmente werthaltig sind. So stärken Sie Ihre Wettbewerbsfähigkeit und bauen Komplexität ab. Möglicherweise lassen sich Angebotspalette und Vertriebsmaßnahmen wertorientierter aufeinander abstimmen und optimieren. Im Einzelnen sollte die Preisfindungssystematik nicht kostengetrieben, sondern aus Kundenwertsicht erfolgen, also merkmalsbasiert. Zur Orientierung sollten daneben die tatsächlichen und verursachungsgerechten Variantenkosten herangezogen werden. So vermeiden Sie fortlaufende Quersubventionierung und können zugleich gezielt die Margen differenziert und steuernd verbessern.

In erfolgreichen Unternehmen wird deshalb zu Beginn einer Produktentwicklung eine intensivere Marktanalyse (vgl. Abbildung 6) betrieben als in weniger erfolgreichen Unternehmen. Folgende Fragen werden beispielsweise gestellt: „Wer ist unsere Zielgruppe?“, „Was will der Kunde?“, „Was bietet die Konkurrenz?“, „Wo gibt es bei uns neue Ideen?“, „Welche neuen Technologien oder Werkstoffe können eingesetzt werden?“, „Welche Marktpreise können erzielt werden, und zwar für Basisprodukte, Optionen und Ausstattungspakete?“ Daraus folgend können die Vorgaben für die nachfolgenden Schritte bis hin zum Lastenheft abgeleitet werden.

Komplexitätsmanagement Anforderungen

Komplexitätsmanagement Anforderungen

Abbildung 6: Erarbeitung eines ganzheitlichen, in sich schlüssigen und von allen Bereichen mitgetragenen Anforderungskonzeptes (Lastenheft/Pflichtenheft)

Ist das Lastenheft erstellt, werden innerhalb der Entwicklungsabteilungen technische Möglichkeiten, das Produkt zu realisieren, zunächst auf funktionaler Ebene untersucht. D.h., es werden Produktfunktionen neutral formuliert und nach den geeigneten technischen Lösungsprinzipien gesucht. So entsteht schrittweise ein referenzierbares Pflichtenheft für die Entwicklung. Im Falle von Divergenzen zwischen Lasten- und Pflichtenheft müssen diese gemeinsam abgeglichen werden, bevor mit der Produktentwicklung begonnen wird.

Verbindlich und früh die Marktanforderungen festlegen

Den Vertrieb dabei frühzeitig und verbindlich in den Entwicklungsprozess einzubeziehen ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für optimale Produkt-Mark-Strategien. Alle möglichen Vertriebsausprägungen im Sinne eines bunten Blumenstraußes zu berücksichtigen und die Zielkosten um 20 bis 30 % senken zu wollen, ist zwar wünschenswert, aber nicht immer umsetzbar.

Eine frühe und wohlüberlegte Produktstrategie samt dem Entwicklungsprozess vorgelagerte Produktplanung hat bei vielen Firmen erhebliche Verbesserungen gebracht. Allerdings benötigt man hierfür ein starkes und emanzipiertes Produktmanagement. Auch sind gestufte Produktpakete von preiswerten Basismaschinen ausgehend (just enough-Konzept) mit unterschiedlichen Ausstattungs- und Automatisierungspaketen oft ein probates Mittel, Komplexität zu reduzieren und Wiederholeffekte systematisch zu generieren.

Extrem störend sind unscharfe Vorgaben und nachträgliche Änderungen oder später in den Entwicklungsprozess einfließende Programmerweiterungen. Diese können dazu führen, dass mühsam erarbeitete Produktarchitekturen komplett kippen und späte Variantenergänzungen zumindest nicht rückwirkungsfrei in den Markt „getragen“ werden können.

Das frühe und systematische Aufdecken und Entschärfen von Kostenfallen zwischen Vertrieb (Lastenheft) und Entwicklung (Pflichtenheft) gewinnt hier zunehmend an Bedeutung. Typische Kostenfallen sind dabei ineffizient ausgelegte Funktionsstrukturen, falsche Spezifikationen und Overengineering, nicht stimmige Design- oder Materialkonzepte sowie Komponenten, deren Funktionalität gar nicht oder nur teilweise ausgenutzt wird. Ein frühes Strukturieren mittels einer Conjoint-Analyse nach Spezifikationsmerkmalen und Kosten bildet daher die Grundlage für ein erfolgreiches Management der Komplexität.


4. Konfigurierbare Produktsysteme

Unter Produktsystemen verstehen wir ein nach Markt- und Wertschöpfungssicht fragmentiertes und strukturiertes Produkt-Programm, welches in einer Architektur und Produktstruktur systematisch und ganzheitlich aufgebaut wurde. Hierbei werden folgende Methoden zielgerichtet angewendet:

  • Produktprogramm und Typisierungsformen nach Scope und Scale
  • Architektur des Produktprogramms bzw. der Plattform
  • Modularität nach Funktionen und mechatronischen Ansätzen
  • Standardisierungs-, Bündelungs- und Gleichteilestrategie
  • Produktordnungssystematik und Lösungsräume samt Konfiguration und Parametrisierung

Modularisierung und Standardisierung streng unterscheiden

Wer den Unterschied zwischen Modularisierung und Standardisierung in allen Konsequenzen nicht versteht, sollte sich nicht wundern, wenn Kostensenkungsziele nicht erreicht werden. So wirken modulare Produktstrukturen i.d.R. stark positiv auf Prozesskosten, aber teilweise negativ auf Einzelkosten. Der positive Effekt auf Einzelkosten wird nur durch Skaleneffekte der Standardisierung erreicht, die in der Umsetzung durch geschickt gewählte Modularitäten und geeignete, auf Wertschöpfung und Beschaffung abgestimmte Produktstrukturen zu realisieren sind. Späte Kundenkopplung und späte Variantenentstehung sind dabei nur die Basics, die ein Entwickler verstanden haben sollte.

Für eine zielgerichtete Modularisierung hat sich eine in sieben Stufen differenzierte Vorgehensweise als sehr zweckmäßig erwiesen. Hierbei werden sowohl funktionale Aspekte als auch die möglichen mechatronischen Anforderungen eines Moduls beleuchtet wie gleichermaßen die Wertschöpfungsanforderungen. Mechatronische Systeme können somit in Funktionsgruppen unterteilt werden, die meist Regelkreise bilden und aus Modulen mit mechanisch-elektrischen Bauelementen, Sensorik zur Erfassung von Messgrößen des Systemzustandes, Aktorik zur Regelung und Steuerung sowie Informatik zur Informationsverarbeitung bestehen. Dieses Vorgehen ist nicht überall sinnvoll, da es ggf. bei stark vernetzten Funktionsmodulen zu Kostensteigerungen führen kann.

In verschiedenen Projekten konnte eine Reduzierung der Teilevielfalt von 30 Prozent bei der Überarbeitung bestehender Maschinen bis fast 70 Prozent bei kompletten Neuentwicklungen erzielt werden. Und das wohlgemerkt, ohne dass der Kunde eine Einschränkung des Produktprogramms erfahren musste.

Identifikation der Komplexitätstreiber

Zur Identifikation der Produkttypen, die die interne Komplexität erhöhen, werden die Produkttypen, die dieselben Anwendungsfelder abdecken und dabei gleiche oder ähnliche Leistungsbereiche aufweisen, betrachtet. In einer ABC-Analyse lassen sich weiter die Produkte herauskristallisieren, die dabei den größten Umsatzanteil haben. Die umsatzschwachen Artikel werden in einem zweiten Schritt auf die Verwendungslogik auf Komponenten-/ und Teileebene geprüft, bevor eine Streichvorschlagliste zur Abstimmung mit Vertrieb und Produktmanagement erfolgen kann (vgl. Abbildung 7). Denn ein Streichen auf Endartikelebene kann dazu führen, dass Stückzahlvorteile im Einkauf nicht mehr generiert werden können und damit der Kostenvorteil der Variantenreduzierung hinfällig ist.

Verwendung und Gängigkeit

Verwendung und Gängigkeit

Abbildung 7: Teileverwendungsmatrix: Kosteneffekte auf der Wertschöpfungsseite werden nur durch Ablösen von Materialnummern auf Baugruppen- und Teileebene gehoben

In diesem Zusammenhang sollte auch geprüft werden, inwieweit sich Geschäftsprozesse, Produkte und Vertriebsstrukturen vereinfachen und standardisieren lassen. Beispielsweise eröffnet die Modularisierung von Produkten die Möglichkeit, Skalen- und Qualitätsvorteile einer Standardisierung mit gesteigerter Produktvarianz zu verknüpfen. So lassen sich individuelle Kundenanforderungen kosteneffizienter erfüllen.

Mit geringer interner Varianz eine hohe Marktvielfalt erzeugen

In vielen Projekten gelingt es, mit deutlich reduzierter interner Varianz eine steigende externe Marktvielfalt zu generieren (vgl. Abbildung 8) und zugleich die Produktkosten um 20 bis 30 Prozent zu senken.

Produktmodularisierung und Varinatenmanagement

Produktmodularisierung und Varinatenmanagement

Abbildung 8: Externe und interne Varianz dargestellt im Trichtermodell

Wenn in Teilbereichen Ihres Unternehmens derartige Vereinfachungen gelingen, können auch die entsprechenden Wertschöpfungsmechanismen mit Lean-Production-Ansätzen bestens verknüpft werden.

Im Vertrieb werden die Mitarbeiter durch Anreizsysteme angehalten, verstärkt auf vorgedachte Ausstattungspakete zu fokussieren, die im Vorfeld in der Produktentwicklung mit dem Vertriebsbereich verbindlich abgestimmt wurden. Zudem werden Konfigurationssysteme mehr und mehr zum Standard, mit deren Hilfe durch Kombinatorik bestehender Module kundenindividuelle Produkte schnell geliefert werden können. Diese vorgedachten Lösungsräume sind jederzeit „ohne Mehraufwand“ vertriebsfähig, da lediglich die Kombination vorgedachter und standardisierter Module eine Vertriebsvariante erzeugt. In derartigen Modellen finden sich nicht selten Wiederholraten im Bereich von 1,1 bis 1,7 auf Vertriebsebene bei hohen standardisierten Wiederholraten in der Wertschöpfung und Supply Chain.

5. Konsequente Prozess- und Wertschöpfungssicht durch Produkt-Prozess-Engineering

Erfolgreiche Unternehmen sind in der Lage, zu niedrigen Preisen mit mehr Individualität auf die Wünsche der Kunden einzugehen als ihre durch Wildwuchs geschwächten Wettbewerber. Hierbei gelingt es ihnen eher, mit neuen Methoden des Komplexitätsmanagements das Spannungsfeld zwischen spezifischen Kundenausführungen auf der einen und ausreichender Wiederholhäufigkeit der Wertschöpfungsprozesse auf der anderen Seite zu beherrschen. Eine modulare Beschaffung oder der Einsatz von Taktmontagen, Kanban-Systemen dienen ebenfalls dem Komplexitätsabbau in der Wertschöpfung. Allerdings müssen hierzu die Produktstrukturen auf die Wertschöpfungsketten hin ausgerichtet werden.

Diese Methoden eröffnen Unternehmen einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen kundenspezifischer Individualität auf der Marktseite und beherrschbaren Kosten durch Wiederholeffekte auf der Produktionsseite. Denn, würden ohne Gegenmaßnahmen Produkte nur noch mit Losgröße 1 produziert, entstünden Mehraufwand in der Konstruktion, zusätzliche Kosten im Einkauf infolge Mindermengen oder erstmaliger Beschaffungsvorgänge, zusätzliche Arbeiten in der Arbeitsvorbereitung und in der Fertigung durch neue Fertigungsschritte mit einmaligen Rüstkosten und über Jahre hinaus die notwendige Vorhaltung von Ersatzteilen. In letzter Konsequenz steigen dann alle sieben Verschwendungsfaktoren wie Wartezeiten, Überproduktion, unnötige Bewegungen, unnötige Transporte, nicht erforderliche Bestände, Produktfehler und Produktionsdefekte sowie zusätzliche Flächenbedarfe deutlich an.

Klassische Lean-Ansätze helfen nur noch bedingt

Lean-Methoden helfen dann nur noch bedingt, denn die Komplexität, die sich vermeiden ließe, wäre der größte Einspareffekt, weit größer als die effizienteste Beherrschung der Vielfalt in Produktion, Beschaffung und Logistik.

Darüber hinaus werden vertriebliche Funktionssichten (Merkmale und Ausprägungen) und physische Wertschöpfungsbetrachtungen (Produktaufbau mit Schnittstellen) aufeinander abgestimmt. Durch den integrierten Ansatz „Produkt und Prozess“ schaffen sie hierdurch die Voraussetzungen, gleichermaßen Angebots- und Auftragsabwicklungsprozesse durch Konfigurationstechniken zu automatisieren.

Sind die Produktstrukturen geklärt und mit Auswahl- und Beziehungswissen verknüpft, so bietet sich die Auswahl und Einführung eines Produktkonfigurators an. Die Infrastruktur für einen durchgängig automatisierten Prozess kann bestehen aus einem Konfigurator integriert in einem ERP-System (z.B. SAP) oder einem aus etwa 20 Anbietern ausgewählten Front-End-Konfigurationssystem.

Fazit und Ausblick zum Komplexitätsmanagement und Variantenmanagement:

Zusammenfassend ist es wichtig, dass die Komplexitätssteuerung ein Prozess im Tagesgeschäft wird. Hierbei müssen nicht unbedingt neue Stellen und Organisationseinheiten geschaffen werden. Disziplin, Kennzahlen und die Verankerung von Entscheidungs- und Freigabeprozessen ggf. gekoppelt zu bestehenden Meilensteinen in der Produktentwicklung oder der Produktpflege wirken wahre Wunder, wenn sie über einen längeren Zeitraum durchgehalten werden. Potenziale, die hier gehoben werden können, sind erheblich, allerdings handelt es sich meistens um keine tief hängenden Früchte, werden die Methoden doch i.d.R. erst bei Neuprodukten richtig eingesetzt. Wer diese Themen im Komplexitätsmanagement weitestgehend ignoriert, wird dauerhaft Wettbewerbsnachteile anderweitig ausgleichen müssen. Oder kürzer gefasst, wie ein sehr erfolgreicher Unternehmer im deutschen Maschinenbau kürzlich versicherte: „Wer für alles offen ist, der kann nicht ganz dicht sein“.

Ein konsequent angegangenes Komplexitätsmanagement kann zu einer sehr effektiven Leistungssteigerung eines Unternehmens beitragen, da dadurch alle Prozesse und Abläufe verschlankt werden können. Diese Art Fitnesskur erhöht die Schlagkraft, steigert den Anteil wertschöpfender Tätigkeiten, reduziert Verschwendung und liefert damit einen nachhaltigen Beitrag zur Profitabilität eines Unternehmens.

Mittelfristige Verbesserungen der Unternehmensrenditen von 3 bis 7 Prozent je nach Produkt- und Wertschöpfungscharakteristik sind erreichbar. Hierbei werden insbesondere die Gemeinkostenbereiche in den Kostenstrukturen verbessert. Durch verbesserte Preisstellungssystematiken lässt sich der EBIT weiter verbessern.


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